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Nach Orlando: die Medien und der Hass

Warum fällt der Allgemeinheit Anteilnahme nach dem größten Anschlag eines Einzeltäters in der Geschichte der USA so schwer? Der außerdem größte Anschlag nach 9/11 war ein Anschlag auf die LGBTTIQ-Community. Auch wenn noch über das Motiv spekuliert wird, aber einen Gay Club ausgewählt zu haben, war kein Zufall. In den Stunden nach dem Anschlag, den ganzen Sonntag über hatten Medien leider Probleme, das auch so einzuordnen. Hass auf Schwule ODER ein islamistischer Hintergrund war für viele zwar plausibel. Aber warum denn nicht beides? Und was ist mit Rassismus? Oder Hass auf den Westen, auf "westliche Werte", auf "westliche Freiheiten"? Warum fiel das vor allem deutschen Medien so schwer, das auch so auszusprechen? Oder zu recherchieren?

 

Wen es da getroffen hat, war relativ schnell klar

 

Die Meldung, dass es eine Schießerei in einem Club in Orlando gegeben haben soll, war noch keine zwei Stunden alt, da wusste man, verfolgte man amerikanische Medien und Twitter, bereits, dass der Club als Treffpunkt für LGBT gilt. Er definiert sich außerdem per Selbstdarstellung als "Latin hotspot", also als Treffpunkt für Latinos.

Zu diesem Zeitpunkt hatte auch die amerikanische Community schon begonnen, nach Antworten und Trost zu suchen. Konnte man alles schon sehen. Denn ob 20 oder 50 Tote: Dass ein gay club gewählt worden war, konnte für die meisten kein Zufall sein. Das Hashtag #OrlandoLove und das Bild des gebrochenen Regenbogens in Emoji-Herzen begannen sich auf Twitter zu verbreiten. Auch die alten Hashtags zur Ehe-Öffnung vor einem Jahr in den USA, #LoveIsLove und #LoveWins, wurden wieder genutzt.

 

Ob islamistischer Hintergrund oder nicht, zu diesem Zeitpunkt, Sonntagnachmittag mitteleuropäischer Zeit, wurde das Geschehen auch schon mit den sogenannten Hate Crimes in Verbindung gebracht, Gewaltverbrechen unter anderem an Lesben, Schwulen und trans*, die leider in den USA in den letzten vier bis fünf Jahren wieder zugenommen haben.

Schwule Amerikaner posteten, dass sie gerne Blut spenden würden, dass ihnen das aber - bittere Ironie - ja verboten sei als schwuler Mann. Später am Tag überlegte der Staat Florida, genau diese Regelung angesichts der großen Zahl von Verletzten aufzuheben. Viele brachten den Anschlag mit der aktuellen Diskussion darüber in Verbindung, ob trans*-Menschen auf die Toiletten ihres gewählten Geschlechts gehen dürfen oder nicht (Hintergrund dazu hier). Einer schrieb: "I literally never want to hear again that LGBT people in the bathroom are a threat to public safety." Auch die muslimische LGBT-Gemeinde zeigte ihren Support.

 

Warum ist die Angst, dass Männer Händchen halten, größer als die Angst davor, dass sie Waffen halten?

 

Und noch viel mehr machten sich Gedanken, dass es so einfach ist, an Waffen zu kommen, so dass eine Minderheit doch nicht eine Bedrohung für das Land darstellt, sondern fundamentale Idioten, die um sich schießen. Auch wenn sich Donald Trump nicht entblödete, den Anschlag gleich für sich zu nutzen und anzukündigen, schädliche Einwanderung werde es mit ihm nicht geben (der Täter ist in New York geboren) und die National Rifle Association kundtat, wären die Club-Gänger auch bewaffnet gewesen, hätte der Täter gar nicht so viele Menschen erschießen können. Dass jemand keine Waffen-Gewalt will und schon gar nicht von irgendeiner Seite mit seinem Kampf für gleiche Rechte instrumentalisiert werden möchte, scheint für die meisten heterosexuellen Weißen undenkbar. Wie Edward Snowden twitterte: "If he murdered because he saw two men kiss, I say: Find someone to kiss". Auf einem Plakat am Tatort stand zu lesen: "You would rather see two men holding guns than holding hands?".

 

"Schwulenparade" klingt immer noch sensationsgeiler als "Pride Parade"

 

All das hätte man auch in Deutschland in der Berichterstattung am Sonntagabend schon berücksichtigen können. Aber davon war wenig bis gar nichts zu sehen und zu lesen. Es ist nichts dagegen zu sagen, die Berichterstattung erst einmal neutral zu halten. Aber wenn über das Internet quasi schon eine eigene Form der Bericherstattung und Aufarbeitung passiert, dann sollte man doch darauf reagieren. Es war, als hätte man nach all den Jahren der Besserung irgendwie immer noch Angst, das Wort "Homosexualität" oder "lesbisch" oder "schwul" in den Mund zu nehmen. Es wäre möglich gewesen, ohne spekulieren zu müssen. Denn vielleicht wird das Motiv auch nie richtig klar sein, der Täter ist tot und hat keine Botschaft hinterlassen. Man kann aber mit dem Umfeld der Tat, mit der Emotionalität, mit dem, was sich im Internet bewegte, umgehen und einen informativen Hintergrund gestalten.

 

"Angriff auf Schwulen-Club" ist nur sensationslüstern in einer Überschrift, aber unnötig, wenn danach im Artikel keine Info über den Club, zum Pride Month oder zu Hate Crimes kommt. Und es stimmt ja noch nicht mal, es gibt ja noch mehr Menschen innerhalb von LGBTTIQ, auch anderen Geschlechts und vor allem anderer Geschlechtsidentität. Aber selbst Spiegel Online schreibt im Jahr 2016 beharrlich bis heute "Schwulen-Club" und "Schwulen-Parade" statt "Pride March" - und reagiert nicht auf Anfragen, das doch bitte zu ändern. Das ist Diskriminierung durch Auslassung und Verkürzung. Ja, wir haben viel erreicht, und ich bin auch dankbar dafür, dass Generationen vor mir vor allem in den 70ern und 80ern so viel für die Gleichberechtigung erkämpft haben. Aber da Sprache auch ein Spiegel der Gesellschaft ist - und der Umgang mit LGBT - ihr wundert euch echt, wenn heutzutage immer noch Lesben, Schwule und trans* wütend sind wegen dieser Feinheiten? Ganz einfach: weil es immer noch als Herabstufung gelesen wird. Weil es eine Herabstufung ist.

 

Es ist auch ein gefundenes Fressen für all die Homo-Hasser im Netz, die Sachen twitterten wie "Endlich greift jemand mal die wirklich Perversen an." "Was ist los? Sind doch nur 50 Schwuchteln weniger, gut so." "Nicht zu vergessen, heute wurden auch über 50 Tucken niedergeschossen. Also ein guter Tag." "Gott schuf Adam und Eva. Nieder mit den Homos!" Und so weiter. Man hätte Sonntagnacht Dutzende Accounts melden können. Auch wenn wir inzwischen in westlichen Gesellschaften fortschrittlich sind - dieser Hass ist es aber, der alles immer noch nicht gleich macht, neben den gesetzlichen Unterschieden, die es ja auch nach wie vor noch gibt. Warum ist das so schwer zu begreifen, dass man sich daher so sehr getroffen fühlt? warum fragt eine ratlose ARD-Journalistin im Brennpunkt den USA-Korrespondenten, warum denn so ein Anschlag sein kann, wenn Schwule und Lesben doch schon so viele Rechte haben? Was ist denn das für eine dumme Frage? Gerade wegen dieser Rechte gibt es Streit, Auseinandersetzungen und Hass! Haben wir doch jetzt jahrelang beobachten können, nicht nur in den USA, auch in Frankreich mit den "Manif pour tous", in Deutschland mit der "Demo für alle" und der AfD und in den osteuropäischen Ländern, dass sich dort trotz all der Gesetze kaum jemand outen kann, weil er oder sie dann auf offener Straße niedergetreten wird.

 

Immerhin gab es einen Brennpunkt. Der aber eben all das hier beschriebene ausließ. Und auch von "Schwulenhass" redete. Schon seit einigen Jahren gibt es übrigens die nette Broschüre "Schöner schreiben über Lesben und Schwule" vom Bund lesbischer und schwuler JournalistInnen. Sei der ARD, Spiegel Online und anderen Medien dringend empfohlen. Kann man hier downloaden. So waren es drei Minuten Stochern im Nebel, obwohl man ja genau das nicht wollte: spekulieren.

 

Thomas Roth mit Aussprache-Problemen

 

Noch schlimmer die Tagesthemen dann in der Fußball-Halbzeitpause. Ein Thomas Roth, noch lethargischer als sonst, der ganz offenkundig Probleme hatte, die Wörter "Schwule" und "Lesben" auszusprechen und dazu mit der Stimme herunterging. Ein Bericht, der zwar die Community anspricht und die Trauer vor Ort, aber wieder nicht lebendig werden lässt, was gerade vor Ort passiert.

Auch in den meisten deutschen Zeitungen war am Montagmorgen nichts davon zu lesen. Den Bereich LGBT ließ man lieber aus. Motiv Schwulenhass wurde höchstens erwähnt. Aber was das heißt, warum hier eine Minderheit so schwer getroffen wurde - kein Wort.

 

Unsere Welt wurde getroffen, nicht eure

 

Ich will niemandem etwas unterstellen, aber auch die Solidarität außerhalb der Szene hielt sich zuerst in Grenzen. Eine Freundin von mir traf den Nagel auf den Kopf und schrieb Montagmorgen: "Bin sehr traurig über die vielen Toten in Orlando und wundere mich, dass Facebook nicht schon überquillt vor Beileidsbekundungen. Frage mich, ob es daran liegt, dass noch nicht 100%ig klar ist, ob es ein terroristischer Anschlag ist, weil das Ganze in den USA passiert ist, oder weil die Opfer Schwule und Lesben und deren Freunde sind. Die Überlegung macht mich direkt noch trauriger."

Der größte Anschlag eines Einzeltäters in der Geschichte der USA und der größte nach 9/11 - und König Fußball ist wichtiger. Hat ja nur eine Minderheit getroffen, in so einen Club gehe ich ja gar nicht, so eine Bedrohung ist für mich nicht real. Egal, was Obama sagt, egal, wer alles zu Kundgebungen für Montag aufruft. Keine Profilfoto-Änderungen auf Facebook, keine Fragen an LGBT-Freunde, wie es ihnen denn jetzt damit geht, keine Versuche, beispielsweise mit dem Lesben- und Schwulenverband Deutschlands ein Interview zu führen. Auch wenn viele mittrauerten, hier war etwas fundamental anders. Unsere Welt war getroffen worden, nicht eure. Und die ist, da hat Andriano Sack Recht, weit mehr. Es sind nicht nur Clubs, es ist nicht nur Ausgehen und Feiern. Es sind Schutzräume für uns, wo man Gleichgesinnte trifft, wo man man selbst sein kann, derjenige, der man sein will oder der man eben tief in seinem Innern ist. Der Christopher Street Day ist eben nicht einfach nur eine "Schwulen-Parade", er ist und bleibt eine politische Demonstration, jetzt mehr als je zuvor in den letzten Jahren.

 

Die "Stonewall Riots" sind wieder aktuell

 

Die Community mit ihren Institutionen gibt Sicherheit. Und das muss unbedingt auch so bleiben. Der Kampf, den das "Stonewall Inn" 1969 führte, ist wieder aktuell. Leider.

Mehr noch: Die Feinde werden mehr. Und sie sind nicht nur so unberechenbar wie der IS, sondern weil wie aus den eigenen Reihen kommen. Heute Morgen wurde bekannt, dass der Täter von Orlando vermutlich selbst schwul war, zumindest seit drei Jahren den Club "Pulse" besuchte und Dating-Apps nutzte. Verinnerlichte Homophobie, nicht zu sich selbst stehen zu können - das ist der schlimmste Feind der LGBT-Community. Noch immer erfahren LGBT Gewalt, auch in Deutschland, noch immer werden vor allem junge LGBT auch von ihren Eltern abgelehnt. Eine Gesellschaft, eine Religion, eine Familie, die so etwas erzeugt, ist immer noch nicht frei genug. Und alle, wirklich alle, sollten dafür kämpfen, dass so etwas nicht passieren kann. Denn unsere Freiheit reicht nur so weit wie eure - und umgekehrt. Seid solidarisch.

 

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