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Journalismus in 2018: Wir sollten alle sensibler werden

Letztens hat jemand aus Österreich auf Twitter etwas im Flüchtlings-Kontext kommentiert und dazu einen digitalen Ausschnitt aus dem E-Paper einer Zeitung verwendet. Ohne Quellenangabe. Ich habe daraufhin gefragt, woher das denn geklaut ist und dass eine Quellenangabe bei so was in sozialen Netzwerken immer nett ist.

 

Zwei Tage passierte überhaupt nichts. Dann mischte sich jemand Drittes ein und antwortete mit dem Hinweis, ich hätte ja selbst die Google-Bilder-Suche betätigen und rausfinden können, woher der kleine Zweispalter stammte. Und dann schrieb er noch dazu, der Screenshot sei nicht geklaut, schließlich könnten den von der Digitalausgabe nur zahlende Abonnenten machen. Und schickte das Ganze auch gleichzeitig an den Account meines Hauptarbeitgebers, SWR BW Online. 
Ich bedankte mich artig und wies darauf hin, dass auch das medienrechtlich keinen Unterschied macht, denn das ist immer noch eine Urheberrechtsverletzung, wenn der Artikel gesamt irgendwo irgendwie ins Netz gestellt wird. Und dass er da getrost meinen Arbeitgeber raus lassen darf, die Frage sei rein privater Natur gewesen. Da wurde der Herr erst recht patzig - man beachte bitte, dass wir vong Inhalt her eigentlich auf einer Wellenlänge hätten sein müssen: "Ihre Wortwahl den Screenshot eines Users (mit 160 Followern) als geklaut zu bezeichnen ist eine sehr gewagte was auch ihren öffentlich rechtlichen Arbeitgeber interessieren sollte. Wer sind es die so wie Sie üblicherweise von einem heiklen Thema ablenken Pegida AfD....?" 
Ich antwortete daraufhin mit einem Link zu einer Website zu Medienrecht und schrieb, dass mein Arbeitgeber das wohl auch nicht anders als ich sehen würde, weil es unabhängig vom Inhalt schlicht um Urheber- und Verbreitungsrecht gehe. 
Eine kurze Pause gab's, dann krakelte wieder der Ursprungstweet-Verfasser rein: "Einen Screenshot kann man nicht klauen, Gnädigste!". Und dann meldete sich Mister Ich-wills-nicht-kapieren erneut zurück: " Also doch! SWR aus Baden-Württemberg wünscht dass Sie das Urheber- & Verbreitungsrecht einer österreichischen Zeitung (die außerdem der römisch katholischen Kirche gehört) zu wahren? Nennen Sie wenigstens Gesetz und Paragraphen wenn Sie jemanden vorsätzlich verleumden!" Daraufhin beendete ich die seltsame Kommunikation, handelte mir noch die Beschimpfung ein, das sei ja typisch überheblich Deutsch, und ließ das auf sich beruhen. 
Es ließ mich aber nicht mehr los. Klar hatten die beiden Troll-Potenzial und waren rechthaberisch. Aber wie sollten sie es eigentlich besser wissen, wenn auch gestandene Redakteure, teils in Führungspositionen, es nicht besser machen? Und dabei auch noch meinen, der Zweck heilige die Mittel; etwa wenn es gegen Nazis oder Antisemitismus geht, könnte man das mit dem Medienrecht und den Persönlichkeitsrechten mal etwas freier auslegen. Nebenbei wird eine schnelle Bildersuche bei Google und der Vergleich von Blog-Einträgen dann als investigative Recherche verkauft, obwohl die Beiträge ihrerseits komplett im Konjunktiv geschrieben sind und Mutmaßung an Mutmaßung reihen. Was sollen denn User da denken, wenn sie mal auf was aufmerksam machen wollen und tatsächlich einen kleinen Fehler begehen?
Zwei namhafte Journalisten greifen sich aus den Hamburger Fahndungsfotos einen Gesuchten heraus und veröffentlichen seine Fotos und seinen (abgekürzten) Namen, weil er bekennender Rechter ist und sich angeblich selbst damit brüstet, auf der Fahndungsliste zu sein. Ist das edler oder journalistisch sauberer als die "Krawallbarbie"-Nummer der BLÖD? Ich denke nein. Wir wissen nämlich trotzdem nicht, ob dieser Mann überhaupt Straftaten in HH während des G20-Gipfels begangen hat. Bloß weil er mutmaßlich eine andere Gesinnung hat und selbst drüber schrieb, gibt es niemandem das Recht, das zu veröffentlichen und drum herum zu mutmaßen. Er ist keine Person des öffentlichen Interesses. Im Zweifelsfall bleibt das ewig im Netz - eventuell falsch konnotiert.
Auch die Persönlichkeitsrechte des unbekannten Mannes in Berlin, der Juden in einem privaten Video beschimpfte, wurden mit Füßen getreten. Bitte nicht falsch verstehen, natürlich ist dieses Maß an Antisemitismus schlimm, und auch ich finde, dass das dringend an die Öffentlichkeit muss. Aber kein Medium hat eigentlich hinterfragt, woher das Video kommt, wie es entstand, wie umstritten derjenige ist, der es dann auf seinem Facebook-Account veröffentlichte, dass derjenige auch stark verquickt und vernetzt mit der Berliner CDU und anderen Gruppierungen ist etc. Aber ziemlich viele haben das Video geteilt, sind sofort aufgesprungen und haben von genereller Gewalttätigkeit gesprochen. Ohne "die Täter" auch nur irgendwie eingrenzen oder andere Beisiele nennen zu können.
Über das gesellschaftliche Gefälle sagt das auch einiges aus. Schön auch jener leitende Redakteur, der mal in eine Christmette geht und danach per Tweet der Welt kundtut, wie heillos ätzend diese ganzen Gutmenschen doch sind. Weil die Predigt sich so anfühlt wie ein Besuch bei der Grünen Jugend oder den Jusos. Immerhin kann so eine Predigt einen FDP-nahen Porsche-Fahrer offenbar noch erschüttern. Was aber eigentlich erschütternd ist, ist die Tatsache, dass mit einer Wir-da-oben-ihr-da-unten-Mentalität Journalismus betrieben wird. Vor allem ohne zu merken, dass das vielleicht superelitär und irgendwie fehl am Platz ist, wenn man(n) seine Privilegiertheit auch noch so zwischen den Zeilen raushängen lässt. Über was will man sich denn dann noch beruflich echauffieren, welchen Skandal aufdecken, wenn man soziale Unterschiede als gegeben und auch gut so ansieht? Anderen noch die lange Nase macht, die wagen zu widersprechen, so als wäre jeder für sein eigenes Schicksal in der Bringschuld: Ach, dein Leben ist tatsächlich schlechter? Naja, nicht mein Problem, geh mir nicht auf die Nerven.
Oder man kann dieser poschen Weihnachtsgeschichte sogar noch was Gutes abgewinnen, denn, wie eine Kollegin schrieb, so werden die Positionen in der deutschen Medienlandschaft mal wieder deutlich. Nur: Konsequenzen hat das ähnliche wie die Mietpreisbremse. Nämlich keine. 
Wir Journalisten müssen uns da auch an die eigene Nase fassen, ob immer nur bad news good news sein müssen vong Klickbarkeit und Quote her. Es wird immer wichtiger, einzuordnen, zu recherchieren und Hintergründe zu liefern. Ich wünsche mir hier uns Medienschaffenden 2018 noch mehr kühlen Kopf und starke Nerven. Schnell und aktuell arbeiten ist gut. Aber heißt auch für mich: vollumfassend. Und im Zweifelsfall auch nicht für die eigene Eitelkeit.