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AfterEllen.com wird dicht gemacht

Die US-Website für lesbische Popkultur AfterEllen.com wird am Freitag dicht gemacht. Der Betreiber Evolve Media, der vor zwei Jahren die Site von Viacom kaufte, hat nach zwei Jahren die Reißleine gezogen. Auf der Site selbst steht das nicht, Chefredakteurin Trish Bendix verkündete das Aus des beliebten Subkultur-Blogs in ihrem privaten Blog. Seit 2002 hatte AfterEllen.com zunächst lesbische und queere Frauen in Nordamerika, dann aber auch zunehmend in Europa und andern Teilen der Welt über Genre-News vor allem über Filme, Serien, Literatur, Musik und Popkultur auf dem laufenden gehalten, nach und nach gab es aber auch Artikel zu politischen Themen und Porträts. Ironie des Schicksals: AfterEllen.com war einst nach dem Coming-out von Ellen DeGeneres (und ihrer Sitcom-Figur "Ellen" im Familien-Sender ABC) angetreten, um für mehr Sichtbarkeit von Lesben zu sorgen und sich lesbischen Themen anzunehmen, die in den Mainstream-Medien damals absolut keine Rolle spielten. Der Identifikationsfaktor der Site ist bis heute vor allem für junge lesbische und queere Frauen, die noch nicht out sind, nicht zu unterschätzen, weltweit. Aber genau das reicht als Anspruch und Existenzberechtigung nun nicht mehr. Weil AfterEllen.com nicht wirtschaftlich gewachsen sei, so schreibt Trish Bendix, wird die Seite eingestellt. Dass man bewusst ein Nischen-Produkt führt und eine Marktlücke besetzt? Spielt keine Rolle.

 

Comedian und Talk-Host Ellen DeGeneres hatte sich mit "Ellen" 1997 geoutet (hier ein YouTube-Video). Sie bekam zwar für die entscheidenden beiden Episoden den begehrten "Emmy". Weil aber viele vor allem christliche Zuschauer daraufhin die Sitcom boykottierten und die Werbe-Kunden dem Sender einbrachen, wurde "Ellen" kurz später eingestellt. Begründung von ABC: Man sei ja auch eher ein familienfreundlicher Sender.

 

2005 war AfterEllen.com mit über 400.000 Unique Users die weltgrößte Website für lesbische Themen. Da gab es auch noch AfterElton.com, die schwule Partner-Seite, beide als Hobby von Sarah Warn betrieben. Im Juni 2006 kaufte Logo, ein Subunternehmen von MTV Networks beide Webseiten. Ebenfalls kaufte das MTV-Subunternehmen die schwule Site 365gay.com - die bereits 2010 eingestellt wurde. Logo wiederum ist ein Teil des noch größeren Netzwerkes Viacom, das vor zwei Jahren an Evolve Media in Los Angeles verkaufte. Evolve Media betreibt Fan-Info-Webseiten wie "Total Beauty", "MomTastic", TheFashionSpot" und diverse Special-Interest-Sport-Seiten mit Community. Motto des Unternehmens: "Publishing that matters". Offensichtlich nicht mattering genug.

 

AfterEllen.com nimmt in der lesbischen Internet-Welt eine so besondere Rolle ein, weil Sarah und ihre Bloggerinnen nicht nur immer up-to-date berichteten, sondern weil die Seite meistens die erste war, die wusste, welche neuen Serien und Filme mit lesbischem Inhalt anlaufen, viele davon auch ebenfalls filmisch vorgestellt in den allerersten Vlogs, die es vermutlich überhaupt im Internet gab, als sie aufkamen. Sogar eigene kleine Webserien liefen zuerst oder ausschließlich auf AfterEllen.com. Ein Identifikations-Eldorado ohne Ende - und ohne gleichen. Genau darauf setzte Logo auch beim Kauf, man wollte damit das eigene Online-Video-Geschäft in der Nische ausbauen.

 

In Deutschland ist höchstens die private Website "Coming out of TV", kurz cootv.de, vergleichbar. Die beiden Macherinnen haben sie nach vielen Jahren am Weihnachten vergangenen Jahres eingestellt.

Ich habe viele berühmte und weniger berühmte Lesben und/oder lesbische Figuren über cootv.de für den deutschsprachigen Raum und über AfterEllen.com im nordamerikanischen Raum kennen gelernt. Den Leserinnen war beispielsweise die Comedienne Liz Feldman schon lange ein Begriff, bevor sie international auch dem Mainstream-Publikum bekannt wurde. AfterEllen.com ist maßgeblich dafür verantwortlich, dass die Serie "The L Word" so groß wurde wie sie ist und Lebensbedingungen von lesbischen Frauen auch als "reales" Thema in den Blickpunkt anderer Medien rückten. Ich habe nichts weniger als mich selbst ein Stückweit durch diese Berichterstattung kennen gelernt und gefunden, wohl gemerkt in der Anfangszeit des Internets, ohne große Dating-Plattformen, die jetzt so manchem Online-Portal den Rang ablaufen.

 

Das soll alles jetzt nicht mehr wirtschaftlich sein bzw. nicht wirtschaftlich genug? Klar, das Internet hat auch in Deutschland dafür gesorgt, dass Szene-Zeitschriften eingestellt werden mussten, etwa das schwule Magazin "Du & ich". Allerdings hat auch kaum jemand frühzeitig hier auf den Einbruch von Anzeigen reagiert und das Werbegeschäft in die neue digitale Welt übertragen. Damit haben es Nischen-Produkte genauso schwer wie Stadtmagazine, die von Online-Städte-Portalen in Franchise-Konkurrenz überrollt wurden, so ab 2003/04.

 

Auf der anderen Seite geht es aber dem alteingesessenen lesbischen Magazin L-Mag so gut wie nie, seit ein paar Jahren sogar mit eigenem Verlag, mit dem sich die beiden verantwortlichen Redakteurinnen Manuela Kay und Gudrun Fertig selbstständig machten - und zusätzlich auch das Berliner queere Magazin "Siegessäule" herausgeben, seit diesem Jahr sogar deutschlandweit. Und ebenfalls innerhalb dieses Jahres haben sich zwei neue lesbische Magazine gegründet, "Straight" und "Libertine". Der Bedarf ist da, im digitalen Zeitalter ist er vermutlich hinsichtlich von Finden, Auswerten, Präsentieren von relevanten Themen, also des Kuratierens, noch wichtiger als je zuvor.

 

Man sucht sich seine Sexualität nicht aus. Und somit in gewisser Weise seine Medien auch nicht, wenn es nur so wenige gibt. Immer noch, im Jahr 2016. Vielmehr schon wieder. Und wir dachten, die Nische sei überwunden. Ich werde AfterEllen.com vermissen. Die Aufregung um Coming-outs hat sich zwar gelegt. Aber um eine eigene Stimme und das Recht, anders zu sein müssen wir immer noch kämpfen, auch in den Medien.

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