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Nicht weiter AfD analysieren, AfD bekämpfen

Ich habe heute Morgen Twitter geöffnet und fand innerhalb von wenigen Minuten 5,6 Links auf Artikel, die sich irgendwie inhaltlich mit der AfD beschäftigen. Hinzu kamen etliche Artikel, die sich damit beschäftigen, dass die CSU jetzt die neue AfD ist. Ich hab die App dann erst mal wieder geschlossen.

So ging das in dieser Woche eigentlich jeden Tag. Es ist die Woche nach der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern. Ja, die AfD hat haushoch aus dem Stand abgeräumt. Wie eigentlich bei fast jeder Wahl in der letzten Zeit. Ja, das ist schlimm.

Aber Analysen helfen jetzt nichts. Die wären vor 3 bis 4 Jahren medial sinnvoll gewesen. Da haben aber viele die AfD noch nicht als Gefahr gesehen, weder Politiker_innen noch Medien. Jetzt ist die AfD real, sie geht nicht mehr weg, und ihre Macht wird eher noch wachsen, je mehr die Menschen von den etablierten Parteien enttäuscht werden. Da hilft es nicht, dass die CDU jetzt langsam radikal die AfD verurteilt und die CSU quasi deren Wahlprogramm abschreibt und sich als "Bayern-Alternative" blau anmalt (also neben dem Bayern-Blauweiß).

 

Wieso wundern sich immer noch so viele über die AfD?

 

Es müssen Taten folgen. Doch wohin mal blickt: allgemeine Ratlosigkeit. Parteien, die sich in Nordostdeutschland seit Jahren aus der Fläche gezogen haben, wo keine Infrastruktur mehr vorhanden ist, wo Jugendliche null Perspektive haben - die wundern sich jetzt über das Erstarken der AfD dort? Einige dieser Parteien meinen weiterhin, wir haben ein größeres Problem mit Linksextremismus (in Berlin brennt jeden Tag ein Auto, ischwör!), dabei müssten sie nur mal zB auch in Bayern in die ländlicheren Gebiete blicken, wo jetzt schon teils dieselbe Trostlosigkeit vorherrscht wie etwa in Mecklenburg-Vorpommern. Die Identitäre Bewegung ist auf dem Vormarsch - und keiner will es merken. Und schon gar nicht reagieren.

 

Stellvertreter-Diskussionen überall

 

Stattdesen werden Stellvertreter-Diskussionen geführt, in die sich auch Medienmenschen einspannen lassen oder die selbst schon so ideologisch verblendet sind, dass sie es nicht mehr merken.

Jüngstes Beispiel: Am Dienstag twitterte Tom Schreiber (SPD), Mitglied des Abgeordnetenhauses in Berlin (ja, genau, in Berlin ist ja jetzt auch Wahl): "Neue Erfahrung am -Infostand. Mein -Gegenkandidat sprach mir seine Wertschätzung zu meiner innenpolitischen Arbeit aus." Twitter schnappte über. Aber nicht, um sich Gedanken darüber zu machen, wie perfide sich die AfD wieder mal ranwanzt und Themen und Menschen für sich vereinnahmt. Nein, sehr viel naheliegender war für Twitterer, dass Tom Schreiber also AfD-nah ist.

 

Beschimpfungen folgten, Fragen, ob er sein Amt als queerpolitischer Sprecher da nicht eher niederlegen wolle, bis hin zu Empfehlungen, doch gleich die Partei zu wechseln. Eigentlich nicht erwähnenswert, dass die AfD diesen Tweet auch gleich für sich vereinnahmte. Aber die größte Aufmerksamkeit - und damit auch falsche Interpretation - bekam Schreibers Tweet durch das Fotografieren und neu Tweeten durch den politischen Korrespondenten des "Tagesspiegel", Matthias Meisner, mit den Worten: "Berliner -Abgeordneter freut sich über Lob der . ". 65 Mal wurde das retweetet. Hinterfragt habe nur ich das. Auf die Frage, wo in dem Tweet denn bitte die Freude sei, das sei doch eher Überraschung, erhielt ich keine Antwort. Ebenso erhielt ich keine Antwort von Leuten, denen ich folge, weil sie Expertise in Rechtsextremismus-Dingen haben, und die auch schadenfroh den Schreiber-Tweet retweeten und Dinge wie "So was kommt von so was" dazu schrieben. Ja, von was denn bitte?

 

Taten statt Schuld-Zuweisungen

 

Tom Schreiber nahm es offensichtlich gelassen und antwortete auf keinen der missverstandenen Tweets oder Retweets. Einem Twitterer nur antwortete er, genau, er finde auch, dass die SPD Innenpolitik viel besser könne als die AfD. Damit war ja auch alles geklärt. Gerade Tom Schreiber, einem Abgeordneten, der bekannt dafür ist, dass er superkritisch ist und sich mit ziemlich vielen anlegt, AfD-Nähe zu unterstellen, ist schlicht lächerlich.

Diese Twitter-Hysterie, in die gestandene Politk-Redakteur/innen ohne nachzudenken mit einschlugen, ist aber ziemlich symptomatisch für das Problem, das wir mit der AfD-Diskussion haben. Sie läuft einfach falsch. Und wir brauchen endlich Taten statt Schuld-Zuweisungen.

 

Das Links-/Rechts-Schema ist, mit Verlaub, scheißegal

 

Jede/r steht sofort unter Nähen-Verdacht. Oder wird in ein Links-/Rechts-Schema eingeordnet, das es so eigentlich grad nicht gibt. Und was nicht zielführend ist, weil es eine Ersatzdiskussion ist für die inhaltliche Auseinandersetzung, die die Parteien dringend mit der AfD führen müssten.

Ein weiteres Beispiel dafür sind Tweets von CSU-Oberfranken-Vorsitzendem Hans-Peter Friedrich oder auch dem medialen Rechtsaußen und Ex-FAZ-Herausgeber Hugo Müller-Vogg. Leute, auf gut Deutsch: Wer oder was eindeutig links oder rechts ist und damit den anderen Parteien in diesem "Ordnungssystem" den Platz und damit die Schuld an den aktuellen Entwicklungen zu geben, ist nicht wichtig (und außerdem überhaupt nicht zu beantworten).

Wenn ihr wirklich was tun wollt, dann lasst Taten folgen, konzentriert euch auf euch selbst, nicht auf das Diffamieren anderer. Ihr wollt doch was tun, oder?

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