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Entschuldigung, ich habe mich geURLt!

Ich wohne seit anderthalb Jahren in Bayreuth. Mir ist Wagner nicht wichtig. Ich interessiere mich nicht für klassische Musik. Mir sind weder Wagner noch die klassische Musik im allgemeinen näher gekommen, seitdem ich in Bayreuth wohne. Na gut, Wagner vielleicht schon. Notgedrungen. Durch meinen Job als Lokaljournalistin. Zumindest wenn es um die Festspiele geht, sollte mich das interessieren, im Interesse meiner/unserer Leser_innen.

 

Alert, alert

 

So musste es mich also diese Woche interessieren, dass mein hassgeliebtes überregionales Medium "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" vergangenen Sonntag ein Interview mit Anna Netrebko hatte. Ich muss zugeben, dass ich die Seite zu Hause überblätterte, denn in meinem persönlichen Interesse war das Interview nicht ganz vorne dabei. Am nächsten Tag dann meldeten sowohl der Google Alert für Bayreuth, der für die Festspiele und der persönliche Alert durch unseren Kulturchef, dass die Netrebko dabei was über Bayreuth gesagt haben muss. Genauer: über ihr mögliches Engagement bei den Festspielen 2018. Also musste der diensthabende Onliner da ran. Also ich.

 

Netrebko in Bayreuth - ja oder nein?

 

Das redaktionseigene Zeitungsexemplar vom Vortag war zwar verschollen, aber macht nix - das Ganze gab's ja auch schon online. Die entsprechenden Aussagen in einen Artikel gepackt, der Kollege checkte bei der Festspiele GmbH gegen - fertig war das Ganze. Überschrift: "Netrebko wird nicht in Bayreuth singen". Direkt darauf meldet sich ein Freund und Ex-Kollege, im Gegensatz zu mir großer Klassik-Versteher und auch Wagner-Experte und fragt, woher ich denn den Satz habe, den Netrebko gesagt haben soll: "Das ist Gossip!" - als Absage an die Bayreuther Festspiele. Ich dann so: Naja, das ist direkt der erste Satz. Entweder du bist ganz schön daneben grad oder ich.

 

Ein Medium - zwei Interviews

 

Und so stellten wir fest, dass Online- und Print-Variante ein und desselben Interviews mit Anna Netrebko in FAS und auf faz.net unterschiedlich waren. In der Online-Variante wurde so Bayreuth eine klare Absage erteilt, während es in der Print-Variante hieß, man sei noch in Verhandlungen. Also ein Vielleicht.

Das publizierten wir, ich schrieb die Autorin des Interviews an, wie so etwas denn bitte passieren kann und welche Variante denn nun stimme.

 

"Nicht hundertprozentig transkribiert"

 

Am nächsten Tag, also Dienstag, kam als Antwort, dass das Interview online wohl schon angelegt worden sei, bevor es von Anna Netrebko und ihrem Management freigegeben wurde. So sei wohl dieser "fatale Fehler" entstanden. Dennoch dauerte es weitere anderthalb Stunden, bis das Interview online endlich geändert war. Darunter wurde keine Berichtigung gesetzt, wie es sonst üblich ist - in der man journalistisch sauber eigentlich auch nennt, was falsch war, warum es falsch war und Tag und Uhrzeit der Änderung angibt. Sondern da steht, immer noch, lediglich, dass man zwei Antworten von Anna Netrebko in einer ersten Version nicht hundertprozentig transkribiert habe. Aha. Man wolle sich dafür entschuldigen. Intern gehe man der Sache jetzt nach, schrieb die Kollegin mir, das Ergebnis, nehme ich an, wird aber ebenfalls intern verbleiben.

 

Entschuldigung nur Online

 

Da also der Fehler bei den FAZ-Onlinern entstanden ist, befand man wohl, dass eine Entschuldigung und Erklärung in Print nicht nötig sei, jedenfalls ist so etwas in der heutigen Ausgabe nicht zu lesen. Was besonders schade ist, da die FAS seit Jahr und Tag in der Rubrik "Die lieben Kollegen" Kurioses, moralisch Schwieriges oder gar schlicht Falsches aus der Medien-Branche durch den Kakao zieht. Da gibt es immer 100 %, wenn es um andere geht.

Abgesehen davon, dass, auch wenn es bei der FAZ niemand glaubt, es vermutlich wirklich Leser gibt, bei denen sich Print und Online überschneiden (mich zum Beispiel), wäre es auch für Frau Netrebko schön gewesen, ein paar erklärende Zeilen dazu zu lesen. Denn die stand die Woche, nur mal so nebenbei erwähnt, als wankelmütige Kuh da, die keine festen Aussagen treffen kann. Klischee typische Künstlerin. Noch mehr abgesehen davon wirft das alles auch ein Zwielicht auf die Autorisierungspraxis von Interviews im Journalismus, aber das nur noch mehr nebenbei.

 

FAZ-Printler lesen faz.de - und wundern sich nicht

 

Zu lesen ist dann heute wieder über andere: den die Tage unter Beschuss geratenen "Kollegen" Nico Hines, der für "The Daily Beast" homosexuelle Sportler_Innen outete, in dem er sich im Olympischen Dorf auf Dating-Apps umschaute, irgendwas über den Sport-Informationsdienst mit gezwungen komischen Überschriften und den "Stern" über eine absolut anlasslose Sylt-Geschichte (man hätte hier noch tiefer drauf eingehen können, wie mit sowas und der Kreuzfahrt-Geschichte eine Woche vorher Urlaub daheim bzw. sicherer Urlaub für die Deutschen als Thema gepusht wurde, aber gut).

 

Vielleicht ist den FAZ-Printlern der Fauxpas aber gar nicht aufgefallen, denn sie lesen ihre eigene Online-Seite offensichtlich nicht. Zwei Wochen zuvor hat ein gestandener Politik-Redakteur nämlich vermeintlich selbstironisch darüber geschrieben, dass ja komische Themen auf faz.de zu finden seien, er hätte schon an den Kollegen gezweifelt. Um dann richtigzustellen, dass er sich ja vertippt hatte und - huch! - damit auf der Website der "Allgemeinen Fleischer-Zeitung" gelandet sei. Total lustig! Nein, sehr traurig. Denn es hat ihm, bevor das gedruckt wurde, niemand verraten, dass die URL des Online-Auftritts seines Arbeitgebers www.faz.net lautet. Sein Glück, dass es eine Umleitung gibt. Die gab's aber auch nicht immer.

 

Sebstredend gab's auch in diesem Fall keine Berichtigung und keine Entschuldigung. Aber warum auch, wenn man weiterhin davon ausgeht, dass der Print-Leser online nicht dieselbe Marke besucht und umgekehrt. Schöne neue Online-Welt in Frankfurt und Berlin.

Aber gut, dass faz.net von Googles Digital-Initiative unterstützt wird.

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