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Tucholsky würde es auch tun

Es gibt derzeit viel Wirbel um Jan Böhmermann und sein Erdogan-Schmähgedicht. Weil dessen Inhalt noch krasser ist als der des extra3-Songs gegen Erdogan, der ja vorher für Wirbel sorgte. Während ganz viele den Wirbel generell ablehnen, Motto "Haben wir nicht Wichtigeres zu tun, als darüber zu reden, was Satire darf und ob das strafrechtlich relevant ist?", wundere ich mich, dass eigentlich kaum jemand in den deutschen Feuilletons genau diese Frage verhandelt: Was darf Satire? (Eine wohltuende Ausnahme fand ich in der SZ hier und hier.) Und damit die Diskussion auf eine politische Ebene holt, dort hin, wo der Böhmermann'sche Inhalt sitzt. Weil es wirklich nicht wichtig ist, oder weil das auch eine Form von selbstverordneter Zensur ist, weil man zwar eine Meinung haben will und unbedingt für die Pressefreiheit sprechen möchte, aber dann doch nicht sooo krass, als dass es zu viel (türkische) Aufmerksamkeit bekäme? Das ist dann genau die Koketterie und das Distinktionsverhalten, was Böhmermann und Teilen seines Publikums vorgeworfen wird, heute ziemlich deutlich von Antonia Baum in der FAS.

 

Das Neo Magazin Royale - eine einzige Distinktionssendung?

 

Der Artikel "Mister Germany" ist nicht drastisch, aber ebenfalls eine Schmähkritik. Eine an Jan Böhmermann (und ein bisschen auch an "bento", aber das lass ich hier mal außer Acht). Baum respektiert Böhmermann zwar irgendwie ("er ist schlau, schnell und hat ein gutes Gespür dafür, was im Internet explodieren könnte"), aber offensichtlich wirft sie ihm auch vor - ja, was eigentlich genau? Erfolgreich zu sein mit dem, was er tut, und das nicht durch Gutsein und aus Bildungsgründen obwohl das Öffentlich-Rechtliche ja laut Rundfunkstaatsvertrag einen Bildungsauftrag hat, warum also nicht auch Böhmi, aber gut), sondern aufgrund von Distinktionswillen. Mit "Alibi-Ironie", auf die sich alle einigen können, die den Blick auf dieselben sozialen Unterschiede hätten (klar, denn sonst würden die "Millennials" es ja auch nicht verstehen - und Antonia Baum ist die Einzige, die es sogar durchschaut).

 

Mal abgesehen davon, dass Baum aus derselben peer group stammt, die sie kritisiert (hallo, Koketterie und Distinktion!), gibt es journalistisch gesehen überhaupt gar keinen Grund, sich ironisch über das zu erhöhen, was Böhmermann mit seinem Magazin tut, Motto "Hey, nur ich hab verstanden, wie das wirklich ist, und jetzt erklär ich euch das mal!". Auch hier haben wir dann wieder dasselbe Verhalten mit teils denselben Mitteln wie das, was beim Kritik-Objekt kritisiert wird. Das ist einerseits eine natürliche journalistische Haltung (Ich hab die - vielleicht alleinige - Deutungshoheit hier) und im Feuilleton gepaart mit Meinung wahrscheinlich sogar ein Muss. (Allerdings ist es ein normaler, eine Seite füllender Artikel und kein Kommentar oder Essay, also nicht als Meinungsbeitrag gekennzeichnet.) Andererseits ist es total gefährlich, ohne größere Analyse und Erklärung jemandem so etwas zu unterstellen. Das ist noch nicht mal ein "mit eigenen Waffen (Zurück-)Schlagen". Denn Baums Waffen sind nur ihre Haltung und eine spitze Feder.

Ich mach's der Kollegin mal ganz einfach mit ihren Gedanken: Was, wenn Jan Böhmermann einfach nur einen verdammt guten Job macht? Und das alles, was er macht, auch das Erdogan-Schmähgedicht, weil er seine Sache auch so gut wie möglich machen will? Ob das journalistische Tugenden sind, die da bedient werden und ob da auch eine persönliche Haltung dahinter steht - das sind Dinge, die in einem zweiten Schritt zu diskutieren wären. Offensichtlich ist es in Deutschland als Journalist/Fernsehmacher/Satiriker/Medienmensch nicht mehr möglich, dass man etwas macht, weil man es eben einfach (gut) machen will - wenn man damit Erfolg hat. Oder sagen wir: Aufmerksamkeit. Das ist ebenso absurd, wie Politiker/innen abzusprechen, dass sie irgendwas tun oder nicht tun, weil sie sich nur sich selbst und ihrem Gewissen verpflichtet fühlen, immer wird gleich ein höheres, unlauteres Ziel dahinter vermutet. Aber da befindet sich Antonia Baum bei der FAS in guter Gesellschaft, das wurde zu den Hessischen Verhältnissen von dieser Zeitung ja auch gern und viel getan.

 

Es geht immer noch um den Inhalt

 

Und dann noch ein sehr einfacher Gedanke: Was, wenn es so wäre? Wenn das "Neo Magazin Royale" gar keine hehren, journalistischen Ziele verfolgte, sondern, sagen wir, gute Unterhaltung machen will oder eben einfach nur mal was anders als sonst in der gängigen, bräsigen öffentlich-rechtlichen TV-Struktur? Dann wäre es doch auch okay. Es ist nicht unser Job, das zu hinterfragen. Sondern unser Job als "Medien-Journalisten", wenn man denn diese Bezeichnung als Kritiker von Kritik gerne hätte, ist es, zu hinterfragen, ob damit die eigentliche Debatte, nämlich die über Politik, Zensur und Pressefreiheit, weitergeführt werden kann und warum das Satire sonst nicht gelingt. Wo doch Frau Baum am Anfang ganz richtig schreibt, dass es Böhmermann übertrieben hat, um genau solche Abgrenzungs-Mechanismen zu testen und vorzuführen. Man könnte daher also fragen: Heiligt der Zweck die Mittel? Stattdessen fragt man lieber indirekt, ob solch ein kalkulierter Skandal mit einem öffentlich-rechtlich inszenierten TV-Rebell nicht eher Selbstbestätigung ist und eine Mentalität bestätigt, die total spießig ist.

Achtung, jetzt bin ich auch spitz: Gut, dass das keine Beschäftigung mit sich selbst ist, in der warmen, trockenen Redaktionsstube mit Anschluss ans unzensierte Internet und einem regelmäßigen Gehalt vermutlich nach Tarif darüber zu sinnieren. Das kommt den der Türkei inhaftierten Kolleg/innen bestimmt zugute, da kommt das türkische Regime sicherlich ins Nachdenken darüber, wie so eine Fernseh-Landschaft am besten zu strukturieren sei. Leider wird so (in einer überregionalen Zeitung!) der Blick weggelenkt davon, um was es eigentlich geht. Mit der Argumentation, dass man irgendwie blöd findet, dass so viele in der peer group gut finden, dass der Böhmi die AfD blöd findet und dazu auch so voll offen (blöde) Statements setzt.

 

Was ist journalistische Haltung?

 

Die ganze Zeit wird gefordert, der Journalismus müsse in diesen Zeiten, in denen die AfD höhere Wahl-Ergebnisse einfährt als die SPD und in der viele meinen, einen Freifahrtschein fürs Flüchtlinge-Dissen auf Facebook zu haben, eine Haltung haben und diese gemäß Presse-Kodex auch offensiv vertreten. Gleichzeitig wird gejammert, die Jugend sei ja so unpolitisch. Und soooo schwer zu erreichen. Jetzt macht da mal jemand was - ob jetzt bewusst oder unbewusst, egal - , und kriegt genau das vorgeworfen, weil es funktioniert. Absurd. Gleichzeitig ist die Journaille so privilegiert, dass das alles geht, ohne dass es eben Konsequenzen hat - dass Böhmermann jetzt strafrechtlich verfolgt wird, ist ein Novum. Und genau das macht es aber interessant, im eigenen Berufsstand mal aus einem anderen Blickwinkel draufzugucken.

 

Gehen wir dafür ein paar Schritte zurück zu den jungen Jahren des vergangenen Jahrtausends. Wo es durchaus gefährlich war für Journalisten, eine Haltung zu haben und diese auch zu vertreten. Und erst recht, wenn sie dadurch politisch etwas erreichen wollten. Gehen wir zurück zu demjenigen, von dem die berühmte Frage "Was darf Satire?" aufgeworfen wurde: Kurt Tucholsky.

Tucholsky hätte genauso gehandelt wie Böhmermann, denn seine Antwort auf die Frage war schlicht "Alles.", und es hätte ihn mit Sicherheit niemand gefragt, aus welchen Motiven er das tut und ob er persönlich davon profitiert - auch, wenn es freilich schon in der Weimarer Republik logischerweise Neid-Debatten gab. Weil die Zeit und der Gegenstand, an dem die Frage aufgeworfen wurde, das einfach verboten. Es ging um die Existenz von Journos - und von vielen, über die sie schrieben, wenn sie wie Tucholsky gegen das Regime anschrieben. Eine genauere Erklärung findet sich an anderer Stelle: "Übertreibt die Satire? Die Satire muss übertreiben und ist ihrem tiefsten Wesen nach ungerecht. Sie bläst die Wahrheit auf, damit sie deutlicher wird, und sie kann gar nicht anders arbeiten als nach dem Bibelwort: Es leiden die Gerechten mit den Ungerechten". Im übrigen konstatierte auch Tucholsky in seiner prekären Lage dennoch, dass auch Spaß an der Sache als Selbstzweck durchaus da und legitim ist: "Der echte Satiriker fühlt sich am wohlsten, wenn ihm ein Zensor nahm, zu sagen, was er leidet. Dann sagt ers doch, und wie er es sagt, ohne es zu sagen - das macht schon einen Hauptteil des Vergnügens aus". Und dies gleichzeitig seine Haut retten kann: "Um dieses Reizes willen verzeiht man ihm vielleicht manches [...]". 

Es lohnt, noch weiter bei Tucholsky zu lesen: "Der Satiriker darf keine, aber auch gar keine Autorität anerkennen.", gerade in der politischen Satire ist die Form gar nicht hoch genug zu schätzen." "Politische Satire steht immer in der Opposition." Und: "Der Satiriker ist ein gekränkter Idealist: er will die Welt gut haben, sie ist schlecht, und nun rennt er gegen das Schlechte an." Also, wenn das nicht als Selbstzweck und Erklärung reicht, wenn man schon unbedingt wie Baum die Handlung hinterfragen muss, dann weiß ich auch nicht.

 

Distinktion als Zeitung vom Unterhaltungsfernsehen ist gefährlich

 

Antonia Baums Artikel ist aber noch aus einem anderen Grund hochinteressant und ärgerlich. Sie stellt das "Neo Magazin Royale" und seine Nutzer mit in eine Ecke mit der "Millennial-Idioten-Seite 'Bento'" und kritisiert, dass in dieser Zielgruppe Anti-AfD-Videos auf Facebook gepostet werden, um "ein paar Likes zu bekommen" (und hier können wir ja noch nicht mal hinterfragen, ob nicht doch die Haltung der Grund fürs Posten ist - abgesehen davon ist es vollkommen egal und hat uns nicht zu interessieren). Schön gepflegte Alt-Feuilletonisten-Haltung gegen die BuzzFeedisierung dieser schönen, alten Holzmedium-Medien-Welt. Da gerät man dann doch ins Staunen: So eine Haltung vertritt eine junge Autorin??? Ernsthaft? Sie kritisiert andere Medien wegen ihres Erfolges und dafür, dass sie bei einer bestimmten Zielgruppe ankommen, die alle gern, auch die alten Holzmedien, gerne hätten?

 

Eine ähnliche Haltung findet sich sechs Seiten weiter bei Andreas Bernard, der darüber schreibt, dass der Panama-Papers-Leak von der Süddeutschen Zeitung ja auch entsprechend vermarktet wurde und wird - obwohl er durchaus auch sieht, dass die Zeiten inzwischen anders sind, und man nicht mehr wie noch bei Watergate erwarten kann, dass ein Scoop einfach aufgrund des Inhalts quasi von sich aus ein Scoop ist.

Ja, und wo ist da das Problem, wenn Verlage auch ihr Marketing bedenken, über die Platzierung und Gestaltung ihrer Inhalte genauso nachdenken wie über die Inhalte selbst und - OMG! - dann damit auch Geld verdienen wollen?

 

Ganz schön gefährlich, so als altes Holzmedium in Zeiten, in denen es Zeitungsverlagen nicht so richtig gut geht. Wir wissen schon etwas länger, nicht erst seit Böhmermanns Magazin, dass in der genannten Zielgruppe, die im übrigen viel mehr ist als nur eine Zielgruppe, Fernsehen nicht mehr linear und nicht mehr primär über das Fernsehgerät als erstem Bildschirm geguckt wird. Dass die Konkurrenz hier viel größer ist, weil sie nicht nur andere Medien umfasst, sondern man zusammen mit anderen Freizeit-Angeboten um die Aufmerksamkeit der Jungen buhlt, dass die alte Rechnung von Zeitungsverlagen "Jugendseiten-Leser sind die Zeitungsleser von morgen" schon lange nicht mehr aufgeht. Wir haben Dutzende Jugendmedien-Studien, die bestätigen, dass Jugendliche nicht nur über den Inhalt "gepackt" werden, dass es kein Kriterium ist, dass Inhalte gut sind, jedenfalls nicht im herkömmlichen Sinn des Journalismus, dass es wichtig ist, eine Marke zu bilden, dass man nicht mehr davon ausgehen kann, dass die Nutzer zu uns kommen, sondern dass wir da hin müssen, wo die neuen Zielgruppen sind, und und und. Also, "Spiegel Online" versucht da mit "bento" was. Das "Neo Magazin Royale" besetzt vor dem (auch aus denselben Gründen mit Spannung zu erwartenden) neuen ARD/ZDF-Jugendkanal schon mal eine Nische, auch im Internet (Was im übrigen einerseits gar nicht genau zu messen, weil Multiplikator für so vieles, und andererseits viiieeeel besser zu messen ist als die Nutzung von so Zeitungen.).

Das tolle Jugend-Angebot der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" muss ich wohl irgendwie verpasst haben. Oder es spielt in meiner peer group, bin ja auch noch in den Dreißigern, dann halt keine Rolle.

Etwas Erfolgreichem den Erfolg vorzuwerfen, wenn man selbst nichts entgegenzusetzen hat, das ist.... ja, das ist ja, als würde ich als kleine Online-Redakteurin eines sehr lokalen Nachrichten-Portals es der FAZ zum Vorwurf machen, dass sie sich mit ihrer breit aufgestellten Online-Redaktion der Digital News Initiative von Google angeschlossen hat (böser, großer Digital-Monopolist!), weil unsere Redaktion schlicht zu klein ist, um überhaupt beim Mitmachen gefragt zu werden. Was zwar stimmt, aber die Sache deswegen dennoch absurd ist, weil man sich ja trotzdem bei der Initiative um Fördergelder bewerben konnte, auch als kleinere Redaktion. Und weil, wenn ich diesen Vorwurf aufbringen würde, damit nicht inhaltlich diskutiert würde, ob das eigentlich sinnvoll ist, da mitzumachen, weil man sich Google ja an den Hals wirft, unabhängige Berichterstattung und Datenkraken und so, ne.

 

Und die türkischen Kolleg/innen jetzt?

 

Worüber wir aber dringend weiterhin reden und schreiben müssen - und auch das würde Tucholsky nämlich tun - ist die Situation der Kolleg/innen in der Türkei und aktuell der Fortgang des "Cumhuriyet"-Prozesses. DAS wäre nämlich wirklich schlimm, wenn die Baum'sche Diskussion darüber, ob Böhmermann nun einfach nur ein aufmerksamkeitsgeiler Moment-Mensch ist oder ein sensibler Journalist, die Berichterstattung darüber, dass in anderen Ländern Satire (und allein schon unabhängiger, wahrheitsgerichteter Journalismus) wirklich lebensgefährlich ist, überlagert.

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