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Die wahren, gefährlichen Ideologen

 

Die homophobe „Demo für alle“ in Stuttgart wird nicht mehr von Beatrix von Storch mit organisiert und hat angeblich nichts mehr mit der AfD zu tun. Warum das „Demo-Bündnis“ rund um CDU-Mitglied Hedwig von Beverfoerde nach der neunten Demo und mehr als zwei Jahren Bestehen brandgefährlich ist – gefährlicher als je zuvor, egal, welche oder ob eine Partei dahinter steht.

 

Heute, Samstag, 12. März 2016, ist der große Tag der AfD. Ach nee, Entschuldigung, die AfD organisiert ja die „Demo für alle“ nicht mehr, mehr noch, sie hat ja nach Aussagen der Demo-Veranstalterin Hedwig von Beverfoerde gar nichts mit der Alternative für Deutschland zu tun. Europaparlaments-Mitglied und Berlin-Vorsitzende Beatrix von Storch organisierte zwar mal mit, bei der vorletzten Demo Anfang Oktober redete zwar das Mitglied im Bundesvorstand der Jungen Alternative Schumacher gegen Demokratie und die Ehe für alle, aber nee, mit der AfD hat das alles nichts zu tun.

 

Kreuzzug gegen Familien“

 

Also gut: Heute ist der große Tag des „Bündnisses“. Denn heute wird der umstrittene Bildungsplan in Baden-Württemberg unterzeichnet, der damit Frühsexualisierung von Kindern und die „Akzeptanz jeder Art von Sexualverhalten unabhängig von Bindung, Ehe und Familie ab der ersten Klasse“ (von Beverfoerde) propagiert. Mehr noch, der, einem „grünroten Kreuzzug gegen Familien“ gleich, die „Zivil-Ehe entwerten“, Familie zerstören und nichts weniger als die gesamte deutsche Gesellschaft „umerziehen“ will. So wird es von Hedwig von Beverfoerde, der dem Bündnis nahestehenden rumäniendeutschen „Journalistin“ Birgit Heike Götsch alias Birgit Kelle und der gesamten Initiative Familienschutz propagiert. Um damit die Landtagswahl im Ländle zu beeinflussen, zuletzt bei der neunten „Demo für alle“ in Stuttgart am 28. Februar.

 

Die Demokratie leidet

 

Was natürlich Quatsch ist, ebenso wie die Aussagen der rechten Ideologen zu den Inhalten des Bildungsplans sowie dessen Entstehung (durch einen demokratischen Prozess, so wie es sich in einem demokratischen Bundesland gehört), was man hier nachlesen kann. Wenn es nicht so traurig wäre, müsste man ob der Ironie des Ganzen lachen: Ideologen, die sich ihre eigene Wahrheit machen wie Pippi Langstrumpf sich die Welt, werfen einer Landesregierung vor, ideologisch zu sein und unter Verschleierung von Tatsachen klammheimlich einen „dämonischen Plan“ umzusetzen. Mehr noch: Diese (übrigens ja demokratisch gewählten) Volksvertreter seien alles Marionetten von „den Ideologen in den Ministerien“ und würden nicht mit „dem Volk“ reden.

 

Wahr ist natürlich, dass die „Demo für alle“ nicht mit Vertretern des Volkes redet, zumindest nicht, wenn es Journalist_innen, Pädagog_innen oder Politiker_innen sind, die ihnen nicht passen. Selbst schon erlebt (Und: Konfrontiert man die „Demo für alle“ damit, dass der Aktionsplan gegen Homophobie beispielsweise ja schon seit Sommer 2015 in Kraft ist, dann wird das ignoriert.). Warum das so ist, ist klar, wenn man beispielsweise liest, was Birgit Kelle beim „European“ schreiben darf (ich verlinke den Scheiß nicht). Da wird die Verschwörungstheorie nämlich medial verlängert – und gleichzeitig wirft man Landesregierung und demokratischen Medien vor, ebenfalls verschwörerisch zu arbeiten und die „Kretschmann-Ziele“ medial zu verlängern, mehr noch: Die Medien sind von BaWü aus freilich gleichgeschaltet, die olle Lügenpresse:

 

Damit die Gehirnwäsche reibungslos funktioniert und nicht etwa durch 'falsche' oder gar diskriminierende Medienberichterstattung torpediert wird, enthalten die Pläne sowohl den Vorschlag, die Medienlandschaft in Bild und Schrift zu beobachten, als auch Vorfälle von Homophobie und Transphobie an Schulen zu melden. Fast kommt kurz der Verdacht auf, die Landesregierung habe sich zur Unterstützung ein paar arbeitslose Stasi-Althasen eingekauft, um methodisch vorzubereiten, wie man erfolgreich ein Denunzianten-Netz über ein Land spannt, um Abweichler, die nicht systemkonform in den regenbogenfarbenen Sonnenuntergang mitmarschieren, frühzeitig zu isolieren.“

 

Ich frage mich, woher Grün-Rot die ganzen Menschen nehmen soll, die Stasi-mäßig das Ganze „überwachen“ sollen, aber die Antwort darauf würde vermutlich genauso ins Nichts führen wie die Antwort von AfD-Spitzenkandidat Meuthen auf die Frage, woher er denn seine Zahlen hat, dass die „Ausländerkriminalität“ in Baden-Württemberg steigt.

 

Dafür sind Anfeindungen und „Verfolgungen“ der Gegenseite im Netz, speziell auf Twitter, stets ziemlich flott, wovon die meisten Schreiberlinge nicht echt sind und Tweets von realen Personen wie AfD-Stadtrat Heinrich Fiechtner die Ausnahme. Das Bündnis verfügt über ein gut funktionierendes, breites, auch mediales Netz – so viel zum Thema, das Ganze hätte nichts mit der AfD, anderen Parteien oder Organisationen zu tun.

 

Mainstream-Medien entdecken die Evangelikalen

 

Das aufzuzeigen war in letzter Zeit bei den Mainstream-Medien übrigens genauso schick, wie vor den Landtagswahlen gegen die AfD anzuschreiben, aber das ist ein anderes Thema. Unter anderem durfte so Liane Bednarz in der FAS die Allianzen der Neuen Rechten entschlüsseln – was ziemlich wundern lässt, nachdem zumindest im von Volker Zastrow geführten Politik-Teil bisher immer kräftig gegen Ehe für alle, „Frühsexualisierung“ und damit der „Demo für alle“ in die Hände geschrieben wurde. Wenn man Zastrow kennt, vielleicht auch nicht so verwunderlich, siehe „Hessische Verhältnisse“ 2008, aber wie gesagt, anderes Thema.

 

Aufgezeigt wird hingegen nicht, wie die nicht-offiziellen christlichen Netzwerke im Hintergrund funktionieren. Zum Beispiel, dass ein Daniel Philippi unter der irreführenden URL www.bildungsplan2015.de seit mehr als einem Jahr die Desinformation über den Bildungsplan sehr professionell weiterführt, nachdem die Online-Petition von Gabriel Stängle aus dem Schwarzwald gegen den Bildungsplan endete. Philippi und Stängle gehören derselben christlichen Vereinigung an, der Prisma-Gemeinschaft, ein eingetragener Verein mit Sitz in Mötzingen, registriert beim Amtsgericht Böblingen. Die Prisma-Gemeinschaft wird von der „Frankfurter Rundschau“ und der „Badischen Zeitung“ in Freiburg, bei der übrigens Birgit Kelle ihr journalistisches Handwerk als Volontärin lernte, als „Sekte“ bezeichnet. Verteidigt wird sie im „European“ (welch Überraschung) von Hartmut Steeb, Chef der Evangelischen Allianz, auf den ich auch noch gleich zu sprechen komme. Die Prisma-Gemeinschaft hat ihre Website am 10. Januar 2014 „aufgrund der hohen medialen Aufmerksamkeit und unsachlicher Berichterstattung um eine Online-Petition“ gelöscht.

 

Auf der Anti-Bildungsplan-Seite wird die Urheberschaft von Philippi verschleiert. Im Impressum steht ein Verein namens „Zukunft-Verantwortung-Lernen“, der wahrscheinlich nur zufällig auch seinen Sitz in Mötzingen hat. Zum Verein gehört auch eine Ulrike Schaude-Eckert aus dem Landkreis Böblingen, die, wieder welch Überraschung, als Rednerin bei der „Demo für alle“ am 28. Februar auftrat. Schaude-Eckert spricht u.a. von „gewalttätigen Kampftrupps“, die Ministerpräsident Winfried Kretschmann in der Vergangenheit auf die Demo und auch die Polizei (dieses Gemeinmachen mit der Polizei hat die „Demo für alle“ drauf) losgelassen habe. Und so weiter und so fort ließen sich Verbindungen noch und nöcher aufzeigen.

 

Es geht schlicht um ganz Deutschland

 

Die Verschwörung liegt also wohl vielmehr bei den „Demo für alle“-Menschen. Denn womit das Ganze nun wirklich nichts zu tun hat bzw. was nur vorgeschoben ist: die Politik vor Ort. Und das ist ein erster Grund, warum die „Demo für alle“, die sich seit Herbst 2015 plötzlich wieder wachsender Beliebtheit erfreut, so gefährlich ist. Es geht nur vordergründig um den Bildungsplan in Baden-Württemberg. Beatrix von Storch wohnt in Berlin, Hedwig von Beverfoerde in Magdeburg, Birgit Kelle in Kempen in Nordrhein-Westfalen (wo übrigens das Vielfalt-Aufklärungsprojekt SchLAu erfunden wurde und es den ersten deutschen Aktionsplan gegen Homophobie überhaupt gab). Keine von ihnen hat auch nur einen Bezug zu Baden-Württemberg. Aber zu den Evangelikalen, zum Beispiel deren größter Lobby-Gruppe Deutsche Evangelische Allianz.

 

Deren Generalsekretär Hartmut Steeb, der übrigens auch regelmäßig im „European“ und anderen einschlägigen Magazinen schreiben darf, ist Württemberger. Er ist stolz darauf, dass er seine Frau aus Baden zu sich geholt und mit ihr zehn Kinder hat. Die Evangelische Allianz hatte Anfang 2014 dazu aufgerufen, die Online-Petition von Stängle gegen den neuen Bildungsplan zu unterstützen, genauso wie CDU-Chef Peter Hauk und der AfD-Landesverband. Bei der neunten „Demo für alle“ am 28. Februar war Steeb einer der Redner. Er argumentierte in seiner Rede gegen den Bildungsplan („diese Regierung plant eine gottlose Kulturrevolution“) mit der Landesverfassung und dem Schulgesetz („wo das noch so ausgedrückt ist, wer weiß, wie lange“). Es brauche eine „Entgiftung des Bildungsplans von lobbyistischen Sonderinteressen“ und eine „Bildungsoffensive für Ehe und Familie“ sowie „ein Ja für Kinder“. Stereotypen dürften Kindern in der Schule nicht ausgetrieben werden, vielmehr sollten Jungs darauf vorbereitet werden, dass sie später Väter sein können, und Mädchen, dass sie Mütter sein können. Nur das wäre „eine gesunde Zukunft fürs Musterländle“.

 

Weitere Eindrücke:

 

Weihbischof Andreas Laun aus Salzburg erklärte, das mit dem Gender sei ein europäisches Problem, daher sei er jetzt auch da. Papst Franziskus habe auf die Frage, wie er Gender-Mainstreaming fände, damals „nur eins gesagt: dämonisch!“. Gender-Mainstreaming sei eine „Bedrohung nicht nur für ungeborene Kinder, sondern für alle Kinder“ und wurde, als „vom Dämon geschickt“ von Laun in eine Reihe gestellt mit dem NS-Regime. „Alle sollen umerzogen und gehirngewaschen werden. Die nächste Diktatur könnte sich damit anbahnen.“

 

Außerdem redete Marcel, ein „homosexuell empfindender“ Sozialpädagoge. Er ist Mitglied der „Bruderschaft des Weges“, einer christlichen Gruppe schwuler Männer, die nicht schwul leben wollen. In dieser Funktion, also als Beispiel, wie Homosexualität quasi nicht dämonisch sein kann, ist Marcel schon einmal bei der „Demo für alle“ aufgetreten. Er spricht qua seines Berufes davon, dass nur ein stabiles Beziehungsverhalten vor sexuellem Risikoverhalten schütze, dass Unsicherheit in der Identität zu früher sexueller Aktivität und Porno-Konsum führe, das wisse man aus „gut gesicherten Forschungsergebnissen“, und der Bildungsplan mit seiner Sexualpädagogik sei eine „Ermutigung zu bindungsfreier, pornografischer Sexualität“ für Kinder und Jugendliche. Der Staat fördere so „das Lustprinzip“, und die Regierung mache „unwissenschaftliche Experimente zur sexuellen Vielfalt“.

Harte Anschuldigungen, die im Zweifel vielleicht sogar justiziabel wären.

 

Hedwig von Beverfoerde verwies nach ihrer Tirade über das „Sex-Indoktrinierungsprogramm“ auf die Angriffe mit Steinen auf Busse und den Brand-Anschlag bei ihr zu Hause „auf die Geschäftsstelle“, um Gemeinschaftsgefühl zu schüren. „Wir lassen uns nicht einschüchtern, weil wir wissen, dass wir für das Richtige, das Recht und auch für die Wahrheit einstehen. Und das macht uns stark.“ Grün-Rot sei fest im Griff von Ideologen, die „ihre Sex-Agenda weiter rücksichtslos vorantreiben werden, auch wenn sie das jetzt zunächst zu kaschieren versuchen“.

 

Birgit Kelle machte es sich noch einfacher, ließ die Inhalte bei ihrer Rede komplett weg und schoß fünfeinhalb Minuten nur Ideologien und Anschuldigungen ab. „Ich spreche hier, weil ich als Mutter das Recht habe, meine Kinder so zu erziehen, wie ich es für richtig halte. Und weil ich keine Ideologen brauche aus irgendwelchen Ministerien, die glauben, sie könnten das besser“. Die „Demo für alle“ habe keine Belehrung über Toleranz nötig, „die da draußen brauchen aber eine“, die „Schreihälse“, die Spalier stünden, wenn ungescholtene Bürger und Eltern hierher kommen. Die Regierung in Baden-Württemberg sei „ein Witz“. „Kretschmann wird uns noch dankbar sein, wenn wir ihn vor seinen eigenen Leuten beschützt haben und er dann nicht gender-sensibel 'Kretschfrau' heißen muss!“

 

Familien-"Wahlprüfsteine"

 

Eine Kerstin Kramer vom Bündnis stellte zudem "Wahlprüfsteine" vor. Davon wurden aber nur die acht genannt, denen drei Parteien vollständig zustimmten. Das sind, klar, die AfD, Bündnis C, aber auch: die CDU. Es sind keine Fragen oder gar verhandelbare Vorschläge für den Bildungsplan. Es sind schlichte, ideologische Aussagen. Wie zum Beispiel:

 

"Erziehung ist in erster Linie Aufgabe der Eltern und nicht des Staates."

 

"Gender Mainstreaming dient nicht der Gleichstellung, sondern leistet einer Verwirrung der Geschlechtsidentitäten Vorschub."

 

"Die Ehe ist ein Bund zwischen Mann und Frau, um eine Familie zu gründen."

 

"Jedes Kind hat ein Recht auf Mutter und Vater, und das ist auch bei Adoptionen zu beachten."

 

"Sexualpädagogik der Vielfalt - raus aus Schulen und Kindergärten!"

 

Und der absolute Hammer:

"Alle Maßnahmen des Aktionsplans, die die Glaubens-, Meinungs- und Gewissensfreiheit einschränken, sind abzulehnen."

 

Die SPD hat angeblich überhaupt nicht auf die Anfrage geantwortet.

 

 

Die ganzen Reden sind in Videos auf YouTube zu finden. Wer danach noch nicht genug hat von so viel Menschenfeindlichkeit und Ideologie, der kann sich hier im sehr verdienstvollen Video von Alvar Freude ansehen, was Demo-Besucher so über Homosexualität und Erziehung und Familie denken.

 

 

Das Versagen der Medien vor Ort

 

Ich würde mir wünschen, dass nicht ich mir all das selbst zusammensuchen muss, sondern dass die Medien vor Ort ihrer Aufgabe in einer Demokratie nachkommen (ich nehme hier die Kontext-Wochenzeitung davon aus), und erstens weiterhin über die „Demo für alle“ berichten (und zwar nicht nur vor der Landtagswahl oder wenn es um Gewalt geht), zweitens dies wirklich umfassend von allen Seiten tun und drittens über die Hintergründe und Zusammenhänge informieren. Die „Stuttgarter Zeitung“ (und damit auch die „Stuttgarter Nachrichten“, denn die beiden großen Zeitungen in Stuttgart werden ja angefangen mit der Online-Redaktion nach und nach zusammengelegt) hat von Anfang an nicht geglänzt mit der Berichterstattung über die Bewegung. Mehrfach über mehrere Kanäle auf die Stängle-Online-Petition bereits im November 2013 hingewiesen, wurden die Hinweise schlicht ignoriert. Tweets und Mails nicht beantwortet, ein Leserbrief nicht ernst genommen (Stattdessen wurde eine lesbische Internet-Aktivistin so dermaßen beschimpft und gehetzt, dass sie sich genötigt sah, alles Virtuelle eine Weile ruhen zu lassen. Sie ist bis heute nicht zurück im Netz. Aber auch das ist wieder mal ein anderes Thema. Oder auch nicht?). Eine Minderheit läuft bald Amok – muss uns nicht interessieren. Parallelen zu Stuttgart21 und dem Medien-Desaster dazu schon hier erkennbar.

 

Erst im Frühjahr 2014, als der Streit um den Bildungsplan dann auch mal bei dpa und dem SWR angekommen war, gab es Berichterstattung. Und dann fingen die Demos an – da konnte man ja auch schlecht noch was ignorieren. In der Folge wurde zwar viel berichtet. Aber auch viel falsch, vereinfacht oder einseitig. Und schon gar nicht hinter die Kulissen geguckt (das hat dann erst NDR-Reporter Christian Deker für seine Doku „Die Schwulen-Heiler“ gemacht). Und wenn selbst kein Reporter vor Ort ist, der den entsprechenden Ehrgeiz aufbringt, dann nimmt man eben den Text von der Agentur. Macht jeder, da bin ich in meiner Funktion bei meinem Arbeitgeber keine Ausnahme.

 

Aber selbst dpa ist nicht immer richtig. Oder zu allgemein. Und je nachdem, mit wem man dann Kontakt hat, hat noch nicht mal die Agentur ein Anliegen, Dinge zu berichtigen oder differenzierter darzustellen. Zum Beispiel gab es im dpa-Portal zur vorletzten Demo im Herbst einen Vorbericht. Darin wurden Bildungsplan und Aktionsplan in einen Topf geworfen. Mein Hinweis per Mail an die diensthabende Kollegin, dass das zwei verschiedene Sachen sind, der Aktionsplan anderes beinhalte, schon längst in Kraft sei und die „Demo für alle“ sich im übrigen gegen beides wende, obwohl immer nur vom Bildungsplan gesprochen werde (und wo man das bei der Landesregierung im Netz nachlesen könne), wurde mit dem Hinweis, nein, es werde schon immer gegen Bildungsplan demonstriert und über den Aktionsplan habe man mit einer Meldung (!) ja im Sommer entsprechend berichtet, abgeschmettert. Danke für das Gespräch auch, Frau Kollegin.

 

Medien-Aufmerksamkeit = Agentur-Hörigkeit?

 

Obwohl die letzte „Demo für alle“ Ende Februar nun mehr Medien-Aufmerksamkeit hatte, weil sie zwei Wochen vor der Landtagswahl stattfand, war die Berichterstattung genau durch solch eine gleichmachende Agentur-Hörigkeit nicht differenziert. Las man am Abend oder am Tag danach die Berichte der örtlichen Medien, auch des SWR, leider, so sah man, dass alle mit mehr oder weniger großen eigenen Text-Einsprengseln dpa genommen hatten. Und da stand zum Beispiel eine Teilnehmer-Zahl von 4.500 bei der „Demo für alle“. Zahl der Gegen-Demonstranten nicht ermittelbar. Klar, weil die Zahl nämlich nicht von der Polizei oder gar dem Ordnungsamt der Stadt stammte. Sondern von der Polizei übernommen worden war. Von den Veranstaltern, die angeblich zählen.

 

Da stand auch, dass es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen von Gegen-Demonstranten mit der Polizei kam, dass es 18 Verletzte gab und einige Festnahmen. Es stand nirgends: eine Differenzierung dieser Aussage aus dem Polizeibericht. So twitterte das Polizeipräsidium Stuttgart noch während der Veranstaltungen, dass man Pfefferspray einsetzen musste, um Gegen-Demonstranten der Antifa daran zu hindern, über Absperrgitter zu klettern, um auf den Schillerplatz zur „Demo für alle“-Kundgebung zu kommen. Ich war selbst dabei, und es gibt Videos von dem angeblich notwendigen Einsatz: Die Polizei war überfordert und hat einfach so Pfefferspray gegen Demonstranten gesprüht. Und zwar großflächig vor dem betreffenden Eingang, mehrmals, über mehrere Minuten (Und ja, als Polizisten-Tochter kann ich das durchaus differenziert betrachten.). Der ohnehin schmale Zugang zum Schillerplatz auf dieser Seite war so gut „bewacht“, dass da garantiert keiner durchgekommen wäre. Die Antifa stand da selbst, wie immer, mit dem Rücken zum Schillerplatz mit einem riesigen Plakat. Eher schaffte die Polizei sich die vermeintliche Bedrohungssituation durch das Pfefferspray selbst, denn dadurch wurde die Masse bewegt und im entstehenden Durcheinander versuchten dann tatsächlich einige Mitglieder des schwarzen Blocks, reinzukommen.

 

Des weiteren wurde von einer Blockade des Demo-Zuges auf der Hauptstätter Straße berichtet, bei der wiederum auf die Gewalttätigkeit der Gegen-Demonstranten Bezug genommen wurde. Klar, natürlich war das ziviler Ungehorsam. Aber erstens kann man so etwas nicht verhindern, denn freilich wollen Gegen-Demonstranten auf die, gegen die sie protestieren, auch treffen. Zum anderen handelte es sich um eine Sitzblockade, und der von der Polizei reichlich gut abgeschirmte „Demo für alle“-Zug war nicht gefährdet (das ist selbst auf dem "Demo für alle"-Video gut zu sehen). Es gab also keinen Grund, auf sitzende Demonstranten mit Schlagstöcken einzuprügeln, in die Gruppe reinzureiten und auch hier Pfefferspray einzusetzen – was ebenfalls auf Videos zu sehen ist und was von der Demo-Sanitäter-Gruppe Südwest heftigst kritisiert wurde. Diese sprach außerdem davon, dass sie bei ihrer Arbeit durch die Polizei behindert wurde und nicht zu den Opfern konnte und außerdem von weitaus mehr Verletzten – durch Polizeigewalt. Alles nicht zu lesen, während der Demo nicht in den Tweets der „Stuttgarter Zeitung“ auf dem für solche Zwecke extra eingerichteten „Live-Kanal“ (ganze fünf Tweets in fünf Stunden), und nicht zu lesen in den folgenden Tagen als Nachberichterstattung.

 

Ebenfalls unklar, aber dadurch nach wie vor hochinteressant, bleibt, warum überhaupt die „Demo für alle“ zwischendrin vom Schillerplatz zum Wilhelmsplatz und zurück ziehen durfte, wenn doch kein Demo-Zug angemeldet worden war. Auch dies gaben, nicht nur über Twitter, etliche Leute, die an der Gegen-Demo teilgenommen hatten, weiter an Medien (und auch Polizei), aber weder wurde darauf geantwortet, noch gab es eben weitergehende Berichterstattung, die genau das hätte klären können. In der „Stuttgarter Zeitung“ war einen Tag später lediglich ein Bericht unter dem Deckmantel "Passanten fragten sich, warum die beiden Kundgebungen so nah beieinander waren", in dem der Leiter des Ordnungsamtes zu Wort kommen durfte, bei dem es aber eben vordergründig darum ging, ob das überhaupt sein müsse, dass solche Konfrontationen passieren, weil man die Gruppen zueinander kommen lässt.

 

Ich bin überrascht, dass eine Zeitung vor Ort überrascht darüber ist, dass es Konfrontation und dann sogar Gewalt gibt. Offensichtlich hat man aus Stuttgart21 überhaupt nichts gelernt. Vor allem viele Linke, aber auch „ganz normale Bürger“ unter den Gegen-Demonstranten waren selbst beim Schwarzen Donnerstag dabei gewesen. Sie vertrauen aufgrund ihrer Erfahrungen und der Gerichts-Farce danach der Polizei nicht und hatten schon beim Zücken der ersten Pfefferspray-Dose Beklemmungen. Sie fühlen sich bestätigt und provoziert, wenn die Polizei dann auf Twitter schreibt, der Einsatz sei „notwendig“ und „erfolgreich“ gewesen. Wie kann man das nicht sehen? Abgesehen davon, dass man es auch mal thematisieren könnte. Warum kein Interview mit der Antifa, einem Vertreter des Aktionsbündnisses oder gar dem Vorstand des Stuttgarter Csd-Vereins? Und müßig zu erwähnen, dass etwas von den oben zitierten Inhalten aufgegriffen worden wäre.

 

Die Sache mit den Rechten

 

Nachdem schon bei der vorletzten „Demo für alle“ im Oktober 2015 die berechtigte Kritik aufkam, es seien NPD-Mitglieder und Rechte bei den Evangelikalen mitgelaufen, hat von Beverfoerde den Ball diesmal selbst aufgegriffen, wenn es die Medien schon nicht tun. Nach dem Mini-Demozug vom Schillerplatz zum Wilhelmsplatz und zurück sagte sie auf der Bühne, es seien wohl Rechte mitgelaufen. Damit hätte man nichts zu tun und davon wolle man sich distanzieren. Es sei vielmehr so: „Das Versammlungsrecht gibt uns nicht die Möglichkeit, Leute wegzuschicken, wenn sie sich ordentlich benehmen.“ Wäre ja auch mal medial zu diskutieren, ob so ein Spruch als Distanzierung tatsächlich reicht (wenn er schon nicht wahr ist.).

 

Wo waren die Politiker_innen?

 

Wer das alles aber auch nicht ausreichend und in der nötigen Tiefe thematisiert hat, sind die Politiker_innen. Klar waren SPD und Grüne da, und es gab einige Reden. Aber wo zeigte sich die Gemeinschaft? Wo war OB Fritz Kuhn, dem es doch nicht egal sein kann, was in seiner Stadt unter einem Parteikollegen-MP passiert? Wo war Sozialministerin Katrin Altpeter (SPD), deren Kind der Aktionsplan für Akzeptanz und gleiche Rechte ist? Wieso gibt es nirgendwo von den betreffenden Ministerien, der Stadt, der Landesregierung Stellungnahmen dazu? Wann, wenn nicht jetzt, so kurz vor der Wahl? Stattdessen spielt das Ganze der „Demo für alle“ noch in die Hände, weil die grüne Landtagsfraktion Satire auf Twitter nicht als solche erkennen kann und ein gefälschtes Foto retweetet hat (auch kein Thema freilich für die Medien vor Ort).

 

Dass die CDU Baden-Württemberg sich von den Protesten distanziert, erwarte ich ja schon gar nicht mehr. Aber einzelne CDU-Politiker_innen könnten das. Auch anderer Bundesländer. Denn alle Länder müssen irgendwann ihre Bildungspläne reformieren oder wollen einen Aktionsplan gegen Homophobie erstellen (gut, alle außer Bayern). Alle haben mit diesen unheiligen Allianzen zu kämpfen, denn die ziehen sich durch ganz Deutschland. Alle wollen wiedergewählt werden. Viele von ihnen sind selbst lesbisch oder schwul, selbst in der CDU. Wann wollen sie endlich anfangen, für die Demokratie zu kämpfen? Das nächste Bundesland, das die „Demo für alle“, vielleicht schmerzhaft, erfahren wird, ist Hessen. Denn da soll ein Aktionsplan im Herbst in Kraft treten. Und der Bildungsplan muss auch noch in dieser Legislaturperiode unter Schwarz-Grün neu aufgelegt werden. Ich hoffe, es gibt Antworten der Landesregierung, bevor die Evangelikalen welche haben. Und die Emotionen gleich mit.

 

Wir dürfen uns nicht die Sprache nehmen lassen

 

Ora et labora“ - dieser Spruch wird jetzt seit der letzten Kundgebung von dem Bündnis als neues Credo missbraucht. Ich bete auch. Dafür, dass die AfD bei den Landtagswahlen nirgendwo über zehn Prozent kommt. Dass Grün-Rot im Ländle weitermachen kann. Und werde als Christin weiterhin dafür arbeiten, dass die Evangelikalen nicht nur als vermeintlich bessere Christen entlarvt werden, sondern als das, was sie eigentlich sind: demokratiefeindliche, bessere Ideologen.

 

 

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